Going big in Russia
Russland hat mich ja schon seit einigen Jahren in seinen Bann gezogen und ich habe bisher fast jede Gelegenheit genutzt und die Einladungen aus der ehemaligen Sowjetunion angenommen. Vielleicht auch deshalb, weil ich selbst in der DDR groß geworden bin und wir sehr viel über unseren großen „Bruder“ in der Schule gelernt haben.
Dieses Mal bekam ich eine Anfrage, Teil des URBAN MORPHOGENESIS Festivals in Odintsovo – etwa 1h von Moskau entfernt – zu sein. Insgesamt sollten 36 großformatige Murals entstehen. Jedes davon zwischen 60 und 70m hoch! Das war schon eine Ansage. Diese Chance, einen solchen Brocken zu absolvieren, wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Da ich aber ehrlich gesagt etwas unsicher war, ob ich dieses Megaprojekt allein bewerkstelligen kann, fragte ich meine Buddies HEAT und TRANS aus Budapest an. Zwei Professionals, die wissen, was sie tun. HEAT ist ein fantastischer Charactermaler und Illustrator. TRANS ist ein Stylemaler, dessen Stil sich aber schon gravierend von meinem unterscheidet, da er auf gerade Linien und geometrische Formen setzt. Diese Kombo schien mir sehr interessant. Zumal wir auch menschlich unglaublich gut harmonieren.
Eine Idee hatten wir schnell gefunden: KEEP ON PUSHING sollte in riesigen Letters an der Wand stehen. Im unteren Teil der Wand ein wilder Haufen geometrisch grafischer Formen, aus welchem eine Hand hervorschiesst. Diese wiederum stemmt eine Hantel welche mit Spraydosen anstatt Gewichten bestückt ist. Die Message dahinter lässt sich eigentlich auf jeden Lebensbereich projezieren. Weitermachen! Vorwärts! Limits brechen!
Angekommen in Russland wurden wir schnell mit der harten Realität konfrontiert: die Logistik, wie wir sie vielleicht von anderen Ländern gewohnt ist, dass eben alles wie am Schnürchen klappt und on time geliefert wird, wurde egalisiert. Warten war angesagt. Warten. Warten. Warten. Schlussendlich kann ich nur DANKE an Heat, Trans und die anderen Artists sagen, dass man sich gegenseitig doch immer wieder so gut es ging bei Laune hielt. Allerdings möchte ich mir nicht vorstellen, was es bedeutet, eine solche Menge an Künstlern aus der ganzen Welt unter einen Hut zu bringen, um ein Projekt wie dieses zu stemmen. Das einzige, was uns immer mehr im Nacken saß, war die verdammte Zeit. Insgesamt hatten wir ca. 9 Tage für das Mural eingeplant, von denen einer nach dem anderen mit zwangsläufiger Untätigkeit verstrich. Eine Verlängerung unseres Aufenthalts war auch nicht möglich, da unsere Visa nicht ohne Weiteres verlängert werden konnten.
Aber Schwamm drüber! Es kam der Tag, an dem wir starteten. Und als die Maschine erstmal lief, lief sie wirklich gut. Ich habe selten bisher ein solch fantastisches Teamwork erlebt, wie mit diesen beiden ungarischen Helden. Als würden wir schon jahrelang tagtäglich zusammen arbeiten und die Gedanken des Anderen lesen können.
Um unseren Entwurf halbwegs proportional an die Wand zu bekommen, versuchten wir, diesen zu projezieren, was sich aber im Nachgang – gerade aufgrund der Wandgröße – als recht kompliziert herausstellte. Irgendwie haben wir es dann aber hingekriegt und zumindest die groben Konturen in der richtigen Größe skizzieren können. Danach „schnell“ einen Tag lang alle großen Flächen wegballern (hierbei ist ein Airless einfach goldwert!), um irgendwann endlich auch mal mit unserem eigentlichen Werkzeug – der Spraydose – loslegen zu können.
Outlines ziehen auf diesem Format ist schon etwas speziell, wenn man bedenkt, dass allein das P bei PUSHING mehr als 8 Meter hoch ist.
So verging Tag um Tag und ob 30, 40 oder fast 60 Meter Höhe – das machte uns irgendwie nichts mehr aus. Einzig der Moment, wenn Du auf der Toilette sitzt und sich plötzlich der Raum bewegt, da du den ganzen Tag keinen festen Boden unter den Füßen hattest. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig.
Leider hing uns die Zeit immer mehr im Nacken und wir hatten wirklich hart zu kämpfen, das Teil komplett fertig zu bekommen. Leider ohne die vielen Details, die wir bei 3 oder 4 Tagen mehr noch hätte hineinpacken können. Aber wir wollen uns nicht aufregen und sind wirklich super happy, diesem Riesen einen neuen Anstrich verliehen zu haben.
Auch unseren Block in Odintsovo lernten wir nach und nach immer mehr kennen. Nix Ghetto, nix besoffene Russen überall. Stattdessen eine recht nette und interessierte Nachbarschaft, die super hilfsbereit war und uns ständig mit Eis, Bier und Snacks versorgt hat. Ebenso ein großes Dankeschön an die Organisatoren um Dmitrij Levochkin. Auch wenn hier und da mal etwas Sand im russischen Getriebe war, habt ihr einen Wahnsinnsjob gemacht und etwas wirklich Großes geschaffen.
Nicht zu vergessen natürlich die ganzen Künstler, die unfassbar reingehaun haben, und jeder für sich an seine Grenzen gegangen ist.
до свида́ния!
https://youtu.be/oqsNiZuGZZA